Corona: Ist es nicht letztlich egal, ob CoVid-19 sich schnell oder langsamer ausbreitet?

 

Frage: Ist es nicht letztlich egal, ob CoVid-19 sich schnell oder langsamer ausbreitet?

Wenn doch ohnehin am Ende 70% der Weltbevölkerung sich mit dem neu auf­ge­tre­tenen SARS-CoV‑2-Virus anstecken, und davon statistisch betrachtet zwischen 0,35% und mehreren Prozent sterben, ist es dann nicht ziemlich egal, wann sich diese Infektionen abspielen? Erkranken, und zu einem kleinen Teil sterben, werden diese Menschen doch so oder so?

Nein, und zwar aus mehreren Gründen:

  1. Wie schon sattsam weltweit diskutiert, ging es zu allererst darum, eine Über­lastung der Gesundheitssysteme zu vermeiden. Wenn mehr Patienten gleich­zeitig beatmet oder sonst intensivmedizinisch betreut werden müssen, als dafür Krankenhausbetten und Fachkräfte zur Verfügung stehen, so bedeutet das zum einen, dass von diesen nicht oder unterversorgten Menschen mehr sterben, als bei ausreichender qualifizierter Betreuung, die Zahl der Toten stiege also deut­lich über das ‚unvermeidliche‘ Mass an. Zum zweiten belastet dies auch Ärzte und Pflegepersonal über Gebühr, zum einen dadurch, dass diese zu un­zu­mut­baren Entscheidungen gezwungen werden, der Triage, also zu entscheiden, wen sie behandeln sollen bzw. dürfen, und wem sie ihre Unter­stützung ver­wie­gern müssen (vgl. Abbildung 10) und zum andern auch da­durch, dass Ärzte, Pflegepersonal und Verwaltung durch reine Arbeits­über­lastung selbst krank werden, z.B. durch Burnout, Depressionen und auch kör­per­liche Beschwerden, etwa verstärkte Rückenprobleme durch Heben von bettlägerigen Patienten usw. Und nicht zuletzt binden diese Fälle Personal, das aus anderen Bereichen abge­zogen werden muss, d.h. es sterben unter Um­stän­den in anderen Klinik­be­reichen Menschen an ganz anderen Krankheiten, bloss, weil CoViD‑19 deren Behandlung verzögert und den Krankheitszustand ggf. bis zur Unheilbarkeit verschlimmert.
  2. Es gibt aber noch einen ganz anderen Aspekt, der bisher, soweit mir erkennbar, gar nicht bedacht, geschweige denn diskutiert wird: Wenn derzeit noch kaum Men­schen immun sind, so ist praktisch jeder für die Erkrankung CoViD‑19 empfänglich. Egal, wer vom Virus befallen wird, er ‚erkrankt‘ daran, ob nun mit Symptomen oder nicht, ob schwer oder leicht, und er steckt auch weitere an, so dass wesentlich mehr Menschen vorübergehend gleichzeitig ausfallen, als bei verzögerter Ausbreitung. Nehmen wir an, eine Fussballmannschaft besteht aus jeweils elf Spielern auf dem Feld; sie besteht mit Ersatzspielern jedoch in Wahrheit aus insgesamt 20 Spielern, unter denen der Trainer wählen und die er auch ggf. ein‑ und auswechseln kann. Solange maximal neun ‚arbeitsunfähig‘ erkranken, kann der Verein rein rechnerisch noch ein Tournier bestreiten. Ob er das Spiel gewinnt, ist dagegen schon wesentlich fraglicher, denn je nach Gegner hätte der Trainer sicher mal den einen, sonst einen anderen Spieler im Sturm eingesetzt. Wenn Torwart und Ersatztorwart ausfallen, sind rechnerisch immer noch achtzehn Spieler übrig, aber ohne fähige Torwarte stehen die Chancen wesentlich schlechter, als wenn ‚nur‘ ein Stürmer und ein Verteidiger ausgefallen wären. So ähnlich geht es auch in vielen Unternehmen zu. Mag ja sein, dass am Fliessband fast jeder ersetzbar ist, aber bei Rolls-Royce z.B. gibt es genau einen, der an der Karosserie den letzten Strich anbringen kann. Fehlt dessen jahrelange Erfahrung und ruhige Hand, kann u.U. eine ganze Monats­produktion nicht ausgeliefert werden. Jeder, der in grösseren Unternehmen gearbeitet hat, weiss, dass es dort Spezialisten und Teams gibt, bei denen oder für die man nicht beliebig andere Mitarbeiter ‚einwechseln‘ kann. Auch die ‚Key Account Manager‘, diejenigen, die bestimmte Kunden exklusiv betreuen, kann man nicht einfach auf die Schnelle durch jemanden ersetzen, der die Wünsche, Gepflogenheiten und Eigenheiten dieser Kunden nicht kennt, etwa nicht weiss, dass man gegenüber dem Kunden ein bestimmtes Produkt aus dem Sortiment niemals erwähnen sollte, weil er darauf aus früheren Erfahrungen schlecht zu sprechen ist, usw.
  3. Und, für mich der wichtigste Aspekt: wenn man Risikogruppen schützt und sich dagegen vorzugsweise jüngere und/oder gesündere zuerst infizieren (vgl. 5.1.2), so erreicht man mit der Zeit, nach zwei, ggf. mehr, Jahren, diese sog. ‚Herden­immunität‘, durch die das Virus kaum mehr neue Opfer findet, die nicht schon immun sind, so dass der Ausbreitungsfaktor unter eins, ggf. gar gegen null sinkt. Das bedeutet konkret: wer sich heute mit 70 Jahren ansteckt, statt in fünf Jahren mit 75, während die heute bereits 75-jährigen (und älteren) durch ge­schickte Kontaktsteuerung vermehrt vor einer Erstinfektion geschützt werden, dann hat der heute 70-jährige bessere Überlebenschancen, wenn sein Immun­system jetzt mit dem Virus ‚kämpft‘ (und fertig wird), während der heute 75-jährige gar nicht erst infiziert würde. Wenn der genannte heute 70-jährige dann 75 wird, ist er bereits immun und der heute 75-jährige, der in fünf Jahren achtzig würde, und damit spätestens zur Hochrisikogruppe zählte, kann sich nicht mehr infizieren, da er bis dahin von so vielen Immunen umgeben ist (Herden­im­mu­ni­tät = ca. 70% Immune in der ihn umgebenden Bevölkerung), dass eine Erstinfektion praktisch aus­zu­schliessen ist. Dadurch also, dass man nicht willkürlich, wie bei der Ziehung der Lottozahlen, ‚irgendwen‘ dem Risiko der Erst-Infektion aussetzt, sondern gezielt die Anfälligeren schützt und diejenigen, deren Mortalität nachweislich geringer ist, z.T. gegen Null geht, sich immunisieren lässt, sind sowohl die jetzt bereits alten und stark gefährdeten geschützt und überleben, weil sie sich vor ihrem ‚natürlichen‘ Tode nicht mehr anstecken (können), während die heute jüngeren dann, wenn sie durch Zeitablauf langsam zu den Hochrisikogruppen zu zählen beginnen, ebenso geschützt sind, und zwar, weil sie sich ‚rechtzeitig‘, als ihr Risiko noch geringer und vertretbar war, angesteckt hatten.
  4. Und … die Zahl der direkt auf Corona-Infektionen zurückzuführenden Toten (Frage 11) sinkt ja mit jedem Jahr, da es gelingt, die Infektionskurve flach zu halten, allein dadurch dramatisch, dass unter den noch nicht infizierten Hoch­risiko-Patienten immer mehr an anderen Ursachen sterben, an denen sie ‚sowieso‘ gestorben wären, d.h. an diesem Virus können sie nicht mehr sterben, während viele der ‚Nachrücker‘ ebenfalls daran nicht mehr sterben können, weil sie entweder selbst immun oder bis dahin von ausschliessich nicht an­stecken­den Immunen umgeben sind.

Auch wenn so etwas schwer im vorhinein zu quantifizieren ist:

In der Summe, wenn der Infektions­verlauf innerhalb einer Gesellschaft nur weit genug gedehnt wird, lässt sich, wenn alle Parameter der Infektionsdynamik hinreichend be­kannt sind, mathematisch sicher der Zeitpunkt bestimmen, zu dem insgesamt ‑trotz einer in beiden Fällen eintretenden späteren ‚Durchseuchung‘ der Population von 70%‑ nur die Hälfte, oder ein Viertel, oder ein Zehntel der Menschen an dem Virus sterben, als bei einer schnellstmöglichen Infektion aller Zeitgenossen – weshalb ich ja die Vorgehensweise Schwedens (Frage 9) für nicht genügend durchdacht und angesichts dessen deutlich höheren Todesziffern pro Million Einwohner für makaber halte.

Die zur Verteidigung des schwedischen Sonderwegs angebrachte Argumentation, diese Menschen wären so oder so früher oder später gestorben, trifft im Lichte der vor­genannten Argumentation eben nicht zu – und die einmal (in z.B. Schweden) ge­stor­benen weckt auch niemand mehr auf, während die noch nicht gestorbenen eben mit jedem Tage eine grösser werdende Chance haben, an etwas anderem als vorzeitig an CoViD‑19 zu sterben.

 

Dies ist ein Auszug aus dem Buch

Das Corona-Virus SARS-CoV-2 und die Atemwegserkrankung CoVid-19:

Bedeutung, Auswirkungen, Vorsorgemöglichkeiten, Verhalten und Zukunftsaussichten

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