Älterer Bruder: ‹Heute werde ich dich das Wichtigste lehren, mein Bruder. Als Erstes: Alle Menschen sollten in einem blühenden Garten leben.›
Der Jüngere trocknete seinem Bruder mit einem fein bestickten Tuch die Füße ab und bemühte sich, ihn so gut wie möglich zufrieden zu stellen. Er sprach zu ihm: ‹Ich habe aus unserem Garten ein paar Früchte gesammelt. Bitte greif zu.›
Der Weise kostete nachdenklich von der Vielfalt erlesener Früchte und fuhr fort: ‹Jeder Mensch auf Erden sollte während seines Lebens einen Ahnenbaum pflanzen. Nach seinem Tode wird der Baum die Nachkommen positiv an ihre Ahnen erinnern. Der Baum wird auch den Kindern und Kindeskindern frische Atemluft spenden. Wir alle sollten reine Luft zum Atmen haben.›
Der jüngere Bruder eilte zum Fenster und sprach: ‹Verzeih mir, mein weiser Bruder, ich habe völlig vergessen, das Fenster zu öffnen, damit du frische Luft bekommst.›
Er riss die Gardinen auf, öffnete das Fenster und fuhr fort: ‹Bitte, atme den Duft dieser beiden Zedern ein. Ich habe sie in dem Jahr gepflanzt, als du fortgingst. Die Setzgrube für die eine habe ich mit meinem Spaten ausgehoben, die für die zweite mit deiner Kinderschaufel.›
Der Weise blickte gedankenvoll auf die Bäume, dann sprach er: ‹Die Liebe ist das erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind. Nicht jedem ist es gegeben, in Liebe zu leben. Und die Weisheit des Lebens ist: Jeder sollte täglich nach der Liebe streben.›
‹Oh, wie weise du bist, mein Bruder!›, rief da der Jüngere aus. ‹So groß ist deine Weisheit, dass ich ganz in Verwirrung gerate – verzeih, ich habe ganz vergessen, dir meine Frau vorzustellen.› Damit wandte er sich zur Tür und rief: ‹He, meine liebe Küchenfee, wo bleibst du denn?›
‹Bin schon da›, war die Antwort, und in der Tür erschien eine fröhliche Alte, die ein Tablett mit Kuchen hereintrug. ‹Ich war noch am Backen …›
[…]
Der Weise wurde immer nachdenklicher. Dann holten ihn laute Kinderstimmen aus seiner Gedankenwelt, und er sprach: ‹Jeder Mensch sollte nach der großen Kunst streben, die Kinder zu glücklichen und rechtschaffenen Menschen zu erziehen.›
‹O weiser Bruder, sehr gern wüsste ich, wie ich es anstellen kann, dass meine Kinder und Enkel glücklich werden. Wie du ja hören kannst, sind meine Enkel die reinsten Poltergeister.›
[…]
Der Weise schwieg. Ihm war eine Einsicht gekommen …
[…]
Was du suchst, o Wanderer, trägst du bereits in dir. Nichts Neues wirst du auf deiner Reise finden, vielmehr verlierst du mit jedem Schritt.»
[…]
«Ich habe die Geschichte so verstanden, Anastasia, dass all die Weisheit, von der der ältere Bruder nur sprach, von dem jüngeren bereits im Leben umgesetzt wurde. Nur verstehe ich nicht ganz, wer dem Jüngeren seine Weisheit beigebracht hatte.»
«Niemand. Seit dem Beginn der Schöpfung ist alle kosmische Weisheit für immer in jeder menschlichen Seele enthalten – und zwar auf ewig. Die so genannten Weisen aber führen mit ihren eitlen Wortspielen oft die Menschenseelen von der Hauptsache weg.»
Zitat aus: Band 4, Seite 163